Suche Sinn, biete Finderlohn.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Sie saß ihm gegenüber und aß ihre Spaghetti. Der Löffel lag unbenutzt neben dem Teller, sie nahm nur die Gabel und wickelte die Nudeln mit einer kreisenden Bewegung drum herum. Dabei entstand ein kreischendes Geräusch, das ihm die Haare auf den Armen zu Bergen stiegen ließ.
Sie blickte ihn irritiert an, runzelte dabei ihre breite Stirn. Dann lachte sie, weil er weiter reglos dasaß und nichts tat. Seine Suppe war schon längst erkaltet, das Baguette daneben würde morgen hart sein. Von Zähnen zerkleinerte Essensreste flogen über den Tisch, als sie ihm mit vollem Mund fragte, was denn los sei. Dabei zog sie ihre linke Augenbraue hoch. Nur er wusste, dass sie das tagelang zuhause vor dem Spiegel geübt hatte.
„Ich finde einfach, dass das cool aussieht! Stell dir mal vor du gehst zu deinem Mathelehrer, ziehst die Augenbraue so hoch, blickst ihn so beschissen arrogant wie möglich an und sagst dann: ‚Ich glaube, wir sollten uns noch mal über meine Note unterhalten!’ Ist das nicht beeindruckend?“
Dass der Lehrer ihr dadurch wohl eher ein schlechtes Mitarbeiten aufs Zeugnis geklatscht hätte, ignorierte sie und wischte es mit einer lässigen Handbewegung aus seinen Gedanken.
„Wenn ich das hier nicht packe, mach ich halt etwas Anderes. Ich finde, das Leben ist zu kurz, um sich mit so dummen Kleinigkeiten wie Schulnoten und „soziales Verhalten“ rumzuschlagen.“
Als sie noch kleine Kinder waren, hatten sie sich immer zusammen ausgemalt, dass sie später ein Haus kaufen würden und zusammen blieben, bis sie sterben würden. Als er sie eines Nachmittags dran erinnert hat, hatte sie nur gelacht und gemeint, dass sie ihre Freiheit viel zu sehr liebt, um mit ihrem besten Freund eine Familie zu gründen und in einem langweiligen Dorf bis an ihr Lebensende zu wohnen.
Nachdem sie den Film „Das wilde Leben“ gesehen hatte, war sie ganz begeistert von der Lebensart der Uschi Obermaier gewesen, schwärmte ihm tagelang etwas vor und meinte, dass mit 18 ihr Leben losginge. Er hatte immer zugehört, genickt, wenn sie seine Zustimmung sehen wollte und dabei gedacht, dass ihm das alles zu viel wurde.
Irgendwann hatte sie ihn aus ihren Zukunftsplänen gestrichen und er traute sich nicht zu fragen, was mit ihrer Freundschaft sei, die sie mittlerweile seit 16 Jahren pflegten.
Durch dick und dünn, wobei er dann eher dick wäre und sie dünn. Nicht nur dünn, sondern sehr dünn. Er war froh, dass sie wieder aß und ihre „Ich trete jetzt in den Hungerstreik!“-Phase abgelegt hatte.
Sie warf die Gabel in den Teller, sodass sie Soße ihm ins Gesicht spritzte.
„Gehen wir mal Paintball spielen? Ich hab’ das im Fernsehen gesehen und ich fand’s echt super! Wie im Krieg, pew pew pew!“
Sie stand auf und duckte sich, ihre Hände zu einer Pistole verformt, die Finger zuckten bei jedem Schuss.
„PEEEEEEEEEEEEW! Habe ich dich!“ Sie schoss auf ihn, die Kugel sollte ihn wohl in die Schulter treffen, aber ihm wäre das Herz lieber gewesen.
„Na, biste tot oder brauchst du noch eine?“ Sie stand über ihm und grinste über ihr schmales Gesicht. Berührten die Mundwinkel die Ohren oder bildete er sich das nur ein?
Sie zielte auf seine Stirn, lachte kurz und zielte dann auf die Glasscheibe hinter ihm.
„Wir sollten langsam zum Biologieunterricht, was meinst du?“

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