Suche Sinn, biete Finderlohn.

Sonntag, 26. September 2010

Für die Nixe.

Die Ohrstöpsel in den Ohren, die Lautstärke auf das Maximale gedreht, sitzt sie an ihr Bett gelehnt auf dem Boden und starrt die weiße Wand an.
Irgendwann hat sie alle Fotos abgerissen, so wütend, dass immer ein paar Fetzen der weißen Tapete an den Klebestreifen hängen blieben, aber sie wollte die glücklichen Zeiten nicht jeden Morgen nach dem Aufstehen sehen, sie wollte nicht realisieren, wie sich alles verändert hatte, wie leicht es früher gewesen war.
Komisch, dass man so viele Interpreten findet, die scheinbar den gleichen Schmerz verspüren wie sie, wenn man sich erst mal in der Situation befindet. Dann ist es, als hätte man Seelenverwandte gefunden, unter den vielen Rappern, den vielen Musikern, die ihr Leid in die Noten trugen und mit wütender Stimme den Schmerz aus dem Kopf sangen. Sie fand immer wieder neue Tracks, immer wieder bessere Zeilen, die ihre Lebenslage so gut beschrieben, dass sie manchmal dachte, jemand hat ihr in den Kopf gesehen.
Das war ein kleiner Trost, dass sie nicht alleine war.
„Nur wegen eines Jungen?“, fragten manche ungläubig, weil sie es nicht verstanden. Nur wegen eines Jungen, der nicht mehr ihrer war. Tut weh, so etwas zu hören, jedes Mal aufs Neue. Es tut weh, seine Bilder zu sehen, auf denen er so glücklich aussieht.
Wieso geht es ihm so gut, wieso geht es mir so schlecht? Wieso hat er einfach so abgeschlossen, wieso hänge ich noch so sehr an ihm, wie wenn man mit einem Schuh in ein Kaugummi tritt?
Und sie versuchen ja auch alle, sie zu verstehen. Sie erteilen ihr Ratschläge, versuchen, für sie da zu sein, hören ihr zu und reden ihr ein, dass es besser wird.
Natürlich wird es besser, irgendwann. Aber wenn dir die Lust an allem vergeht, hast du nicht mehr die Kraft, über die Zukunft nachzudenken.
Liebeskummer wäscht sich irgendwann aus, wie die Flecken aus einem Shirt. Irgendwann hat man alles so sehr durchgekaut, dass man den Schlussstrich zieht und neu beginnt.
Aber nicht jetzt, nicht morgen und gewiss nicht in nächster Zeit.
Vor Kurzem hat sie bemerkt, wie das ganze sie abgehärtet hat. Viele der dummen Kommentare prallten an ihr ab, als sei sie unter einer Glasglocke gefangen, die sie vor Bomben schützen sollte. Unnahbar – unantastbar.
Bald wird es Winter, dachte sie. Spätestens dann muss ich aus meinem Loch kriechen, damit es nicht zufriert und ich für immer dort unten bleibe.
Dann war der Akku ihres iPods alle.